Praktikum im C34

Ankommen

Die Lehrpersonen aus dem C-Cluster treffen sich bereits vor Unterrichtsbeginn im Lehrerzimmer, plaudern miteinander und treffen letzte Absprachen. Im Gegensatz zum B-Cluster vermischen sich hier die drei Tandems C12, C34 und C56. Das mag daran liegen, dass die Leute noch bis vor zwei Jahren zu einem einzigen Team gehörten, bevor der Ausgang in drei Tandems aufgeteilt wurde. Auch in der Pause treffen sich die Lehrpersonen wieder im Lehrerzimmer. Ein solcher einheitlicher Ort fehlt im Übergang – dort treffen sich die Lernbegleiter aus den jeweiligen Tandems in ihren eigenen Räumen, weshalb kaum Austausch zwischen den Tandems stattfindet.

Einstieg

Um 8.30 Uhr erscheinen 26 Lernende aus der 7. und 8. Klasse zum Unterricht im C34. Sie haben eine halbe Stunde Zeit, um mit den Lernbegleitern zusammen den Tag zu planen. Für mich ist es schwierig, in dieser Zeit eine Struktur auszumachen. Verschiedene Lehrpersonen gehen ein und aus. Einmal bittet eine Lernbegleiterin um Aufmerksamkeit, um einen Auftrag für nächste Woche zu erteilen: Die Lernenden werden während der ganzen Woche Berufspraxis an verschiedenen Arbeitsorten absolvieren und müssen täglich ein Portfolio erstellen.
Um 9 Uhr verlassen einige Lernende das Zimmer, andere kommen herein. Ich erfahre, dass nun ausschliesslich 7.-Klässler im Zimmer sind.

Mathematik

An der ILB wird sehr stark darauf geachtet, dass die Lernbegleiter nach ihren Stärken eingesetzt werden. Darum übernimmt heute eine Sonderpädagogin die Einführung der Binomischen Formeln und veranschaulicht dies mit Cuisenaire-Stäbchen. Sie freut sich darüber, da sie üblicherweise mit den SPF-Kindern (Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf) an einem speziellen Programm arbeitet.

Cuisenaire-Stäbchen

In der Klasse integriert ist ein Junge mit Autismus-Spektrum-Störung und ein Mädchen mit SEF (Downsyndrom). Sie werden von der Lernbegleiterin betreut. Zwischendurch streckt das Mädchen auf und teilt sich mit, was ihr das Gefühl gibt, in der Gruppe dazuzugehören. Ich setze mich zu einer Gruppe von Kindern mit SPF an den Tisch und stelle fest, dass sie mit der Thematik überfordert sind. Sie suchen sich eine andere Beschäftigung, was von den Lernbegleiterinnen akzeptiert wird. Ich staune über die Selbstverantwortung, die hier von den Jugendlichen erwartet wird.

Freiarbeit / Wahlmodule

In der Freiarbeit können die Jugendlichen frei wählen, was sie tun möchten – vorausgesetzt, sie haben die Mindestziele in den Kernfächern erreicht. Manche arbeiten auch dann freiwillig an Mathe oder Deutsch, da sie beispielsweise nach der 8. Klasse ans Gymnasium gehen wollen. Parallel zur Freiarbeit werden Module in verschiedenen Fächern angeboten.

Gespräche mit Leuten aus dem Team

In der grossen Pause werfe ich die Frage in die Runde, ob es an der ILB ein Konzept gäbe. Eine Lernbegleiterin sagt mir, jedes Tandem habe sein eigenes Konzept. In den Anfängen, als die ILB nur aus der Volksschule bestand, habe es tatsächlich nur ein einziges Konzept gegeben. Die verschiedenen Konzepte mit teilweise wenigen Berührungspunkten werden von den Lernbegleitern unterschiedlich eingeschätzt: Während einige sich die Grossgruppe im Ausgang zurück wünscht, sind andere froh, dass durch die drei Tandems eine Struktur eingeführt wurde. Vor der Mittagspause nimmt sich eine Sonderpädagogin aus dem C56 Zeit für ein Gespräch. Sie meint, die unterschiedlichen Konzepte würden der reformpädagogischen Ausrichtung entsprechen. Wie ich heute erfahre, gibt es Lehrpersonen, die gerne über die Methoden informiert würden, mit denen im Übergang in den verschiedenen Tandems unterrichtet wird. Über den Lernstand werden sie beim Übertritt informiert, nicht aber über das methodische Wissen, welches die Lernenden mitbringen. Ich frage nach, ob es für die SPF- und SEF-Kinder Förderpläne gibt. SPF = sonderpädagogischer Förderbedarf (individuelle Lernziele), SEF = Schüler mit erhöhtem Förderbedarf (Kinder mit geistiger Behinderung). Der Leiter des C56 meint, die Sonderpädagogen hätten die Pflicht, für die Kinder mit ASO-Lehrplan (Allgemeine Sonderschule) Förderpläne zu erstellen, was aber nicht immer umgesetzt würde. Niemand kontrolliert dies an der ILB. Es scheint, dass die Sonderpädagogen ihre Arbeitsweise an der ILB selber definieren können. Die Lernziele und die reformpädagogische Ausrichtung ist die gemeinsame Grundlage aller Lernbegleiter. Im C56 versucht man, mit dem Einsatz von differenzierten Arbeitsplänen vermehrt inklusiv zu arbeiten. Gerade Jugendliche leiden darunter, wenn sie ein Sonderprogramm erhalten und mit anderen Lehrmitteln arbeiten müssen als die anderen. Diesem Umstand möchte man mit den differenzierten Plänen entgegenwirken. Dadurch entfällt auch die Einteilung der Lernenden nach SPF, da einfach jedes Kind auf seinem Niveau arbeitet. In der Inklusion haben die Lernbegleiter ein anderes Rollenverständnis als in der Integration. Nicht die Sonderpädagogin allein ist für bestimmte Kinder zuständig, sondern alle Bezugspersonen tragen Mitverantwortung. Wenn meine Gesprächspartnerin gefragt wird, welche Funktion sie an der ILB habe, sagt sie, sie sei für alle Fächer zuständig. Sie findet, die Lehrpersonen sollten nach ihren Fähigkeiten arbeiten, so wie ein SHP beispielsweise das Projekt in der Au unter sich hat. Das ist Inklusion! Die Kollegin erzählt weiter, dass die Weiterbildung in Reformpädagogik ihr für die Arbeit als Sonderpädagogin am meisten gebracht habe. In der Reformpädagogik werden die kindlichen Entwicklungsphasen in das Alter 6-12 und 13+ aufgeteilt. Insofern findet sie es sinnvoll, wenn man nach dem Übergang einen deutlichen Wechsel vollzieht und auch neue Arbeitsformen einführt. Sie findet ausserdem den Mix zwischen dem Unterricht in den Stammklassen und der Durchmischung gut. Die Jugendlichen lernen somit auch mit anderen klarzukommen. Von den Personen, mit denen ich in der ILB spreche, erhalte ich teilweise widersprüchliche Informationen. Eine SHP sagte mir letzte Woche, die Kinder aus dem B34 würden nach der 6. Klasse ins C34 kommen. Nun meinen aber andere aus dem Übergang, die Lernenden würden komplett neu durchmischt. Das sei jeweils eine komplexe Angelegenheit, da verschiedene Aspekte berücksichtigt würden (Soziales, Lernstand, ...). Es sei vielleicht mal so angedacht gewesen, aber Realität sei die Durchmischung. Es ist nicht das erste Mal, dass mir die verschiedenen Wahrnehmungen an der ILB auffallen. Die Schule gibt es bereits seit 20 Jahren und sie ist immer noch im Wandel. Diese Tatsache lässt den Alltag für die Mitarbeitenden und erst recht für Aussenstehende manchmal etwas unübersichtlich erscheinen. Der Rektor gibt den Lernbegleitern in ihren Tandems grossen Freiraum in der Gestaltung des Unterrichtsalltags. Vielleicht ist es genau das, was den Reiz dieser Schule ausmacht. Leute, die wie ich von der traditionellen Schule kommen, fühlen sich dadurch verunsichert und befürchten einen Kontrollverlust. Doch Freiheit bedeutet auch Vertrauen und weniger Kontrolle. Ich bin auf weitere Erfahrungen in den kommenden Wochen gespannt.

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