Abschluss an der ILB / Reflexion

Schulleiter der ILB
(Quelle: Internet)

Heute ist mein letzter Tag an der ILB. Abschliessend schreibe ich eine Reflexion, die ich hier wiedergeben möchte:

Vom 3. Oktober bis 12. Dezember 2017 habe ich die ILB an zehn Tagen besucht: 4mal im Übergang (4.-6. Kl.), 5mal im Ausgang (7.-8. Kl.) und einmal im Eingang (1.-3. Kl.). Dabei konnte ich in verschiedenen Clustern, Tandems und Coachinggruppen Einblick gewinnen und mit Lernbegleitern und Lernenden sprechen. Nun halte ich einen bunten Blumenstrauss mit vielen interessanten Erlebnissen in der Hand, die mich auch für meinen eigenen Berufsalltag inspirieren. Mir ist aber auch bewusst, dass Veränderungen nicht über Nacht geschehen. Die offene Haltung steht jedoch am An-fang jeder Veränderung!
Ich möchte zuerst einige allgemeine Rückmeldungen geben, die sich vorwiegend auf die Erfahrungen im Übergang stützen. In den weiteren Ausführungen beziehe ich mich auf die Eindrücke im Ausgang und Eingang. Wichtig ist mir, dass die Aussagen als meine persönlichen Eindrücke verstanden werden. Die ILB ist sehr komplex, und wenn ich hier täglich über mehrere Monate arbeiten würde, wäre meine Wahrnehmung in manchen Dingen wieder anders.
Die Organisation mit Clustern, Tandems und Coachinggruppen finde ich sehr clever. Die Struktur sieht auf den ersten Blick einfach aus, doch je tiefer man hineinblickt, desto mehr neue Fragen tauchen auf. Ein Grund für die Komplexität der Schule ist wohl die Tatsache, dass die Tandems sehr autonom agieren können. Während beispielsweise im B12 viel Freiarbeit stattfindet, arbeitet das B34 intensiv mit Plänen und im B56 wird wiederum öfters in den Stammgruppen unterrichtet (das B56 habe ich nicht besucht). An einem Tandem (40-50 Lernende) arbeitet ein Sonderpädagoge vollzeitlich. Das ist genial, aber auch notwendig, da die Schule inklusiv geführt wird und ca. 30% der Lernenden SPF aufweisen. In der Schweiz kann ich von einer solch intensiven Betreuung nur träumen. Ich betreue als Schulische Heilpädagogin (SHP) beispielsweise eine 6. Primarschulklasse mit 25 Kindern, wovon 5 mit individuellen Lernzielen beschult werden, weil sie dem Lehrplanstoff nicht folgen können. Für die Betreuung erhalte ich wöchentlich 5 Lektionen (was überdurchschnittlich hoch ist). Diese Situation ist unbefriedigend.
Die Kinder und Jugendlichen an der ILB gehen gerne zur Schule. Dies mag banal klingen, ist es aber nicht! Einige von ihnen habe ich gefragt, was ihnen besonders an der ILB gefällt. Ein Junge meinte, an der vorherigen Schule sei es ihm nicht gut ergangen und er habe nie etwas gearbeitet, doch jetzt sei er motivierter. Viele Lernende schätzen die grössere Freiheit, die sie hier haben. Ein Highlight ist der Tag in der Au, was ich eine ganz tolle Sache finde (auch wenn ich selber lieber im Schulhaus bleibe (-:). Auch die Lernbegleiter machten auf mich einen zufriedenen Eindruck. Besonders spannend finde ich, wie sie ihre Begabungen und Interessen einbringen können, z.B. die Lebenspraxis, die Ausflüge in die Au, Yoga, usw. Das trägt sicherlich massgeblich dazu bei, dass sich die Lernbegleiter mit der ILB identifizieren können.
Ich stellte jedoch auch Unterschiede bei ihnen fest. Vor allem im Übergang wirkten die Lernbegleiter gestresster als im Ausgang. Die Situation im Eingang kann ich nicht beurteilen, da ich dort nur einmal zu Besuch war. Im Übergang fanden die Lernbegleiter kaum Zeit für eine Pause. Im Gegensatz dazu trafen sich die Lernbegleiter im Ausgang bereits am Morgen vor Unterrichtsbeginn für ein ungezwungenes Zusammensein. Auch in der Pause war die Stimmung fröhlich und entspannt. Ich finde es wichtig, dass die Lernbegleiter einen solchen Rückzugsort im doch sehr intensiven Schulalltag haben, um sich auszutauschen und Kraft zu tanken.
Durch die Autonomie der Tandems ergeben sich ganz unterschiedliche Schwerpunkte und Methoden im Unterricht. Das ist grundsätzlich zu begrüssen. Ich finde es wichtig, dass sich eine Schule Gedanken darüber macht, auf welchen Grundlagen der Unterricht gegründet ist. An der ILB ist dies sicherlich die Reformpädagogik. Weil ich mich darin leider nicht auskenne, kann ich nicht beurteilen, inwieweit diese Ausrichtung in den einzelnen Tandems umgesetzt wird. Ich kann nur meine Beobachtungen schildern, und diese sind, dass sehr unterschiedliche Auffassungen über guten Unterricht herrschen. Im Mathematikunterricht im B34 wird beispielsweise mit der kybernetischen Methode gearbeitet. Ich bin gegenüber dieser Methode skeptisch und finde dazu auch Kritik in der Literatur. Die Lernenden müssen auf eine ganz bestimmte Art mit ihren Fingern zählen. Sie werden dazu verleitet, zu glauben, ein bestimmter Finger sei eine bestimmte Zahl! Auch die übergeordneten Unterrichtsformen sind sehr unterschiedlich. Vielleicht wäre es ja möglich, als übergeordneten Rahmen die vier Bestandteile guten Unterrichts von Achermann festzulegen, wobei eine individuelle Schwerpunktsetzung möglich wäre:

vier Bestandteile guten Unterrichts

Besonders im Übergang und Ausgang fiel mir der hohe Lärmpegel auf. Ich erlebte mehrmals Lernende, die sich nicht konzentrieren konnten, weil es im Zimmer zu laut war. Wenn Einzelarbeit, Gruppenarbeit und Besprechungen in ein und demselben Zimmer stattfinden, fühlen sich logischerweise einzelne Lernende gestört (obwohl sie dies nicht unbedingt bewusst stört, denn mit den Kollegen zu plaudern, macht auch Spass). Dieser Zustand existiert auch in der traditionellen Schule und ich finde, es ist ein ernst zu nehmendes Problem. Denn aus psychologischer Sicht beeinträchtigt alles, was lauter als Flüstern ist, das Arbeitsgedächtnis, was gerade bei Kindern mit SPF besonders gravierend ist. Ich kenne keine Lösung, denn oft führen Platzprobleme dazu, dass die Lernenden nicht an einen ruhigen Ort ausweichen können.
Zu Beginn meines Praktikums fragte ich einige Male nach den Förderplänen für die Lernenden mit SPF. In einer Diskussion hiess es, nicht alle SHP würden Förderpläne erstellen, obwohl dies Pflicht wäre. Ich war ausserdem überrascht, dass auch für Schüler, die bereits seit längerem an der ILB sind, kaum förderdiagnostische Unterlagen vorhanden sind. Die PH Luzern beispielsweise legt sehr viel Wert darauf, uns SHP darin zu schulen, differenzierte Förderdiagnosen zu erstellen (ich weiss, wie schwierig das ist). Ich gehe nicht davon aus, dass es in Wien anders ist. Diese Frage ist für mich somit nach wie vor ungeklärt, aber wie ich oben erwähnt habe: Meine Wahrnehmung beschränkt sich auf die zehn Tage, die ich an der ILB verbracht habe.
Im Ausgang werden sehr wichtige Themen wie Ernährung, Haushalt, Ethik usw. behandelt. Mir ist aufgefallen, dass viele Lernende sehr differenziert denken und sich entsprechend äussern können. Auch Themenwünsche der Lernenden werden im Unterricht berücksichtigt. Das ist wunderbar!
Im Ausgang weht ein anderer Wind als im Übergang. Der Druck für die Lernenden ist dort grösser. Die Lernbegleiter sagten mir, dass eigenverantwortliches Lernen nicht für alle Lernenden selbstverständlich ist. Die diesbezüglichen Vorerfahrungen aus dem Übergang seien unterschiedlich. Für die Lernbegleiter aus dem Ausgang wäre es hilfreich zu wissen, welche Vorerfahrungen die Lernenden zu den unterschiedlichen Arbeitsstrategien mitbringen.
Im C56 versucht man, mit dem Einsatz von differenzierten Arbeitsplänen vermehrt inklusiv zu arbeiten. Gerade Jugendliche leiden darunter, wenn sie ein Sonderprogramm erhalten und mit anderen Lehrmitteln arbeiten müssen als ihre Kollegen. Diesem Umstand möchte man mit den differenzierten Plänen entgegenwirken. Dadurch entfällt auch die Einteilung der Lernenden nach SPF, da einfach jedes Kind auf seinem Niveau arbeitet.

Soweit meine Einschätzung zum Praktikum an der ILB. Trotz meiner kritischen Punkte – oder gerade deswegen! – möchte ich betonen, dass ich die ILB als eine äusserst innovative und lebendige Schule erlebt habe, wo sowohl Lernende als auch Lernbegleiter sich sehr wohlfühlen. Schade, dass meine Zeit an der ILB bereits wieder zu Ende ist, denn inzwischen konnte ich auch eine Beziehung zu einzelnen Lernenden aufbauen. Es erfüllte mich, dass auch sie sich mir gegenüber öffneten.

Abschliessend möchte ich mich ganz herzlich bei allen Lernbegleitern bedanken, die es mir ermöglicht haben, einen Einblick in die ILB zu gewinnen und mir alle meine Fragen geduldig beantwortet haben. Ich wurde sehr herzlich und warm aufgenommen. Für die Zukunft wünsche ich allen Lernenden, Lernbegleitern und Mitarbeitern nur das Beste.

Kommentare